Katrin Hartig leitet seit Jahren eine Selbsthilfegruppe der Verwaisten Eltern und Trauernden Geschwister e.V.. In den vielen Jahren dieser ehrenamtlichen Tätigkeit ist ihr ein Phänomen aufgefallen:
Menschen lassen sich in der Trauer tätowieren. Sogar Menschen, die vorher Tattoos verweigernd oder gar verachtend gegenüber standen.
Ob ein besonderer Schriftzug, ein Symbol, eine Zeichnung. Ob Mann oder Frau. Jung oder Alt. Das Tattoo ist ein Statement für immer, denn Trauer geht nicht vorbei. Sie verändert sich und sucht nach individuellem Ausdruck. Trauer will gesehen werden.
Dieser Beobachtung wollte sie nachspüren und hat sich mit ihrer Projektpartnerin Stefanie Oeft-Geffarth in das spannende Projekt gestürzt.
Es begann mit einer Ausschreibung u.a. über social media Kanäle und mit hunderten Zuschriften. So viele Menschen scheinen sich bereits auf diese Weise mit ihrer Trauer zu beschäftigen. Eine erste Bestätigung der Relevanz des Themas. Aus den Zuschriften wurden eine inhaltliche Sortierung, dann eine optische Auswahl getroffen.
Die Autorinnen wollten sich auf drei Ebenen nähern:
Über Gespräche mit den tätowierten Trauernden, über eine Fotodokumentarische - also visuelle Annäherung und über eine kontextuelle, wissenschaftliche Verortung des Phänomens.
In den folgenden 2 Jahren wurden mehrere Fotoshootings & Interviews quer durch Deutschland organisiert und viel Material gesammelt.
In einem ersten Schritt des engagierten Projektes haben die Autorinnen eine mietbare Wanderausstellung und eine kleines Buch publiziert.
Experten wie Dr. Mark Benecke, Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie sowie Prof. Erich Kasten, Neuropsychologe und Lisa Schönberg, Dipl.-Psychologin ordnen die Erfahrungsberichte ein.
Über eine dokumentarisch-fotografische-journalistische Vorgehensweise haben die beiden Autorinnen ein Phänomen verifiziert, sich intrinsisch genähert und eine phänomenologische Betrachtung vorgelegt.
In der Auseinandersetzung mit dem Thema wurde den Autorinnen klar, dass es ein riesiges Thema ist, dass durch dieses Projekt erstmals aufgegriffen und beschrieben wurde. Klar geworden ist aber auch, dass dies nur der Anfang sein kann, zu dem sie mit dieser Arbeit einen Beitrag geleistet haben.
Doch neben dieser Arbeit geht es mit der Ausstellung und dem Buch vor allem auch darum, Menschen über diese Möglichkeit zu informieren. Menschen, die zum Einen einen Weg für den Ausdruck ihrer Trauer suchen, zum Anderen, mehr Verständnis für Tattoos als Ausdrucksform der Trauer zu erzeugen. Denn manch ein Tattoo, dass wir vielleicht noch immer kulturell verächtlich bewerten, hat ein zutiefst menschliches Bedürfnis.
Die Trauernden, die ihre Geschichten hinter den Tattoos und von ihrer Trauer erzählten, bieten durch die Ausstellung und auch das Buch dem Leser an, diese "Lösung" nachzuvollziehen und zu verstehen.
„Ich wollte etwas, was ich immer bei mir trage“, so begründet Gela ihre Entscheidung für ein Tattoo nach dem plötzlichen Tod ihres Sohnes. „Es ist die nach außen getragene Verbindung zu meiner Mama“, sagt die 23jährige Jennifer im Interview.
Ein Name, den man nie vergessen will! Ein Datum, das immer bleibt! Weil sie sich für immer an einen geliebten, verstorbenen Menschen erinnern wollen, lassen sich viele Menschen in ihrer Trauer ein Tattoo stechen.
Das Tattoo kann Liebeserklärung und Brücke zum Verstorbenen sein, wie für den 51jährigen Jürgen: „Unsere Trauer hat uns ja auch dahin geführt, dass sich unsere Meinung über Tattoos komplett geändert hat“, sagt der um seine Tochter trauernde Vater.
Katrin Hartig ist Fernsehjournalistin und Trauerbegleiterin sowie 2.Vorsitzende Bundesverband Verwaister Eltern und trauernder Geschwister Deutschland e.V.. Sie führte die Interviews und entwickelte die Texte für die Publikationen.
Stefanie Oeft-Geffarth ist Unternehmerin (conVela) und Künstlerin. Stefanie Oeft-Geffarth fotografierte die Protagonisten in ganz Deutschland und ist für die Gestaltung des Projektes verantwortlich.